Am 19.10. hat das Bundessozialgericht (BSG) eine Pressemitteilung zu einem Verfahren (B 1 KR 16/22 R) veröffentlicht, in dem die Kostenübernahme einer Mastektomie für eine nicht-binäre Person verhandelt wurde. Die Klage der nicht-binären Person hatte keinen Erfolg. Das ist erschütternd und schmerzhaft, nicht nur für nicht-binäre Personen, die geschlechtsangleichende Maßnahmen anstreben. Gleichzeitig wirft das Urteil große Fragen auf, wie die Kostenübernahme bei geschlechtsangleichenden Maßnahmen in Zukunft geregelt sein wird. Für weitere Informationen zum Urteil verweisen wir an dieser Stelle auf eine Pressemitteilung der TIN-Rechtshilfe, welche sowohl ein Statement der klagenden Person als auch der begleitenden Anwält*innen enthält.
Bis das Urteil selbst in verschriftlichter Form vorliegt, werden voraussichtlich noch mehrere Wochen vergehen. Daher lassen sich aktuell nur vorläufige Aussagen treffen, wie die Auswirkungen des Urteils auf die Trans*gesundheitsversorgung in Zukunft sein werden. Als Bundesverband Trans* ist es uns trotz der unzureichenden Informationslage ein wichtiges Anliegen, auf die bisher vorliegenden Informationen zu reagieren und diese zu kommentieren. Dies ist uns umso wichtiger, da wir wahrnehmen, dass das Urteil und die begleitende Pressemitteilung des Bundessozialgerichts zu einer massiven Verunsicherung innerhalb der trans* und nicht-binären Communities führen. Beim BVT* blicken wir ebenfalls mit großer Sorge auf das Urteil.
Warum wurde der Anspruch auf Kostenübernahme für nicht-binäre Personen abgelehnt?
In der Pressemitteilung heißt es, das Gericht lehne den Anspruch auf Kostenübernahme mit der Begründung ab, dass geschlechtsangleichende Maßnahmen nach der aktuellen S3-Leitlinie, welche auch nicht-binäre Personen inkludiert, eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode darstellen. Vor allem, dass die Feststellung der Geschlechtsinkongruenz und die Entscheidung über die Art und Reihenfolge von Behandlungsschritten laut dem BSG zunächst durch die behandelte Person selbst erfolgt, sei in diesem Zusammenhang als neue Behandlungsmethode zu werten. Diese Methode müsse daher erst durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) geprüft werden, bevor eine Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen möglich wäre.
Welche Kosten werden voraussichtlich weiter übernommen?
Da derzeit keine ausführliche Urteilsbegründung vorliegt, kann es noch keine Einschätzungen über die genauen praktischen Folgen dieses Urteils geben. Es steht im Raum, dass durch dieses Urteil die Kostenübernahme für trans* Personen, unabhängig ob binär oder nicht-binär verortet, insgesamt auf den Prüfstand gestellt wird und es erst einer neuen Richtlinie durch den GBA bedarf, bis Kosten für geschlechtsangleichende Maßnahmen wieder bewilligt werden.
Dem gegenüber steht die Erwähnung des Vertrauensschutzes in der BSG-Pressemitteilung. Dieser deutet darauf hin, dass bis zur Veröffentlichung der Urteilsbegründung Anträge für geschlechtsangleichende Maßnahmen nach der bisherigen Rechtslage bearbeitet werden. Dies ist in solchen Fällen üblich. In der Terminübersicht des BSG heißt es zu diesem Punkt ausführlicher (Zitat im Original mit pathologisierender Sprache): „Soweit Behandlungen von bisher als transsexuell bezeichneten Personen bereits begonnen haben, liegt es nahe, dass die Krankenkassen die Kosten bis zum Vorliegen einer Empfehlung des GBA aus Gründen des Vertrauensschutzes wie bisher weiterhin zu übernehmen haben.“
Es bleibt in diesem Zusammenhang die Frage, was als eine bereits begonnene Behandlung gilt und wie mit Anträgen von binären trans* Personen umgegangen wird, die eine Behandlung zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht begonnen haben.
Was ist die Einschätzung des BVT*?
Klar ist, dass wir als Bundesverband Trans* uns dafür einsetzen, dass die Kostenübernahme für trans* Personen gesichert sein muss, die bisher Zugang zur Kostenübernahme hatten oder während der Ausarbeitung einer Richtlinie einen Antrag auf Kostenübernahme stellen. Eine Verschlechterung der ohnehin oft prekären und deutlich verbesserungswürdigen transitionsspezifischen Gesundheitsversorgung ist für uns nicht hinnehmbar. Geschlechtsangleichende Maßnahmen sind kein Luxus, sondern grundlegend für die psychische Gesundheit von trans* und nicht-binären Personen. Daher ist unser übergeordnetes Ziel, die Absicherung der Kostenübernahme von geschlechtsangleichenden Maßnahmen, wie sie auch im Koalitionsvertrag zugesichert wurde. Diese Kostenübernahme muss alle trans* Personen, egal ob binär oder nicht-binär verortet, umfassen.