TDOR 2024: Trans*feindlichkeit tötet – Gedenken an die Opfer von Gewalt und Diskriminierung

Am 20. November 2024 begehen die trans* Communities weltweit den Trans Day of Remembrance (TDOR) – einen Tag des Gedenkens und der Solidarität mit den trans*, nicht-binären und gender-nonkonformen Menschen, die aufgrund von Gewalt, Diskriminierung und Hass ihr Leben verloren haben. / Im diesem Jahr zählt das Trans Murder Monitoring 350 Morde weltweit. Damit ist 2024 eines der drei tödlichsten Jahre für trans*, nicht-binäre und gender-nonkonforme Personen seit dem Beginn der Erfassung im Jahr 2008.

Die Zahlen des Trans Murder Monitorings spiegeln gesellschaftliche Entwicklungen wieder:
„Dies ist zweifellos eine Folge der konzertierten Bemühungen von Anti-Gender- und Anti-Menschenrechts-Bewegungen, die trans* Personen instrumentalisieren und verunglimpfen, um breitere antidemokratische politische Agenden durchzusetzen. Wir haben einen stetigen Anstieg von Online- und Offline-Hassrede und Hassverbrechen beobachtet, insbesondere von politischen Akteuren, religiösen Führern und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens“, ordnen die transnational und weltweit arbeitenden Organisationen TGEU, GATE, ILGA World, APTN, IGLYO und ESWA in ihrem gemeinsamen Statement Zahlen des Trans Murder Monitorings ein.

Robin Ivy Osterkamp aus dem Vorstand des Bundesverband Trans* sagt dazu: „Der weltweite Rechtsruck setzt die Leben von diskriminierten Personengruppen aufs Spiel. Nur wenn mit vereinten Kräften Menschenrechte – die Basis der Demokratie – verteidigt werden, können wir Menschenleben schützen.“

Das Trans Murder Monitoring Projekt (TMM) der Menschenrechtsorganisationen TGEU meldet in den vergangenen 12 Monaten weltweit 350 Morde. Das Trans Murder Monitoring Projekt (TMM) der Menschenrechtsorganisationen TGEU meldet in den vergangenen 12 Monaten weltweit 350 Morde. Wie schon in den vergangenen Jahren zeigt sich die Wechselwirkung von Trans*misogynie, Rassismus und Sexarbeiter*innenfeindlichkeit als besonders tödlich: Die meisten getöteten Personen waren trans* Frauen oder trans*feminine Personen, die Schwarz, indigen, migrantisiert und_oder of Colour waren. Viele der Getöteten gingen der Sexarbeit nach. Gemäß der Zahlen des TMM waren 94% der Getöteten trans* Frauen und trans*feminine Personen. 93% der gemeldeten Morde wurden an Schwarzen Personen und Personen of Colour verübt – dies entspricht einer Zunahme um 14 Prozent im vergangenen Erhebungszeitraum. Mit 46% waren Sex-Arbeiter*innen eine der am stärksten betroffenen Gruppen.
Ein Drittel aller Ermordeten waren zwischen 31 und 40 Jahren, ein Viertel zwischen 19 und 25 Jahren. 15 Jugendliche trans*, nicht-binäre und gender-nonkonforme Personen wurden ermordet. Das entspricht 6%. Mehr als ein Viertel der Morde (34%) fanden auf offener Straße statt und 22% in dem Haus/der Wohnung der ermordeten Person. Auch wenn die Zahlen in Europa im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um die Hälfte gesunken sind (2023: 16, 2024: 8), zeigen die Zahlen auf der ganzen Welt einen Aufwärtstrend. Dieser ist besonders in den USA sichtbar (2023: 31, 2024: 41). In vielen Ländern und Regionen sind und bleiben die Zahlen hoch: Südamerika und die Karibik weisen die höchste Fallzahl auf – 73% der in diesem Jahr registrierten Morde fanden dort statt. Dass so viele Morde aus dieser Region gemeldet werden, ist jedoch auch ein Ergebnis eines außerordentlich gut organisierten Netzwerks aus Trans*organisationen, die Morde melden.

Die 350 Morde, die das Trans Murder Monitoring erfasst, sind jedoch nur ein Ausschnitt:
Lange nicht alle Morde an trans*, nicht-binären oder gender-nonkonformen Personen werden in dieser Statistik genannt: Immer wieder werden Personen nach ihrem Tod unter ihren abgelegten Namen erfasst und sind nicht als trans*, nicht-binär oder gender-nonkonform sichtbar. Aber auch die Personen, die durch weniger greifbare Gewaltformen gestorben sind, fehlen in dieser Statistik: Die Menschen, die durch Diskriminierungsformen systematisch verletzbar gemacht werden.

Robin Ivy Osterkamp vom BVT* sagt dazu: „Viele der Debatten, die um das Selbstbestimmungsgesetz geführt wurden, haben Vorurteile und Stereotype über trans* und nicht-binäre Personen in der Gesamtgesellschaft gestreut und verfestigt. Das ist nicht nur bedauerlich – sollte der Fokus des Gesetzes doch auf der Verbesserung der Lebenssituation für trans, inter* und nicht-binären Personen liegen – es ist auch gefährlich: Trans*feindliche Einstellungen in den Köpfen der Menschen erhöhen die Wahrscheinlichkeit trans*feindlicher Gewalt auf den Straßen.“

Seit mehr und mehr Fehlinformationen über trans* und nicht-binäre Personen verbreitet werden, warnen Community-Organisationen vor dadurch steigender trans*feindlicher Gewalt. Dass diese Befürchtung Realität ist, zeigt sich auch an den steigenden Zahlen des Trans Murder Monitorings.

„Wann wird die Gewalt ein Ende haben? Die Staaten müssen sich zu sofortigem Handeln verpflichten, um der Zunahme von trans*feindlicher Hassrede und Angriffen entgegenzuwirken und diesen Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen! Unser Leben hängt davon ab“, sagt Ymania Brown, Geschäftsführerin von TGEU – Trans Europe and Central Asia.

„Wir dürfen nicht zulassen, dass es einen queerpolitischen Bruch gibt“, betont auch Robin Ivy Osterkamp die Verantwortung der Politik. „Dass alle Menschen Menschenrechte verdienen und sie auch brauchen, muss unsere Handlungen leiten. Die extreme Rechte nutzt Trans*feindlichkeit, um sich in der Mitte der Gesellschaft auszubreiten. Wir müssen verhindern, dass diese Strategie weiter aufgeht.“

Laut der kürzlich erschienenen Leipziger Autoritarismus Studie 2024 zeigt sich bereits, dass trans*feindliche Einstellungen in Deutschland weit verbreitet sind. Die Mehrheit aller Deutschen weist eine manifeste oder latente Trans*feindlichkeit auf, über ein Drittel (37%) vertritt ein geschlossen trans*feindliches Weltbild. Die Studie verweist allerdings auch auf einen hohen Zusammenhang zwischen dem Vorliegen trans*feindlicher und extrem rechter, autoritärer Einstellungen. In der Gruppe, die sich selbst als politisch „rechts“ verorten, weisen 50% ein geschlossen trans*feindliches Weltbild auf, in der Gruppe mit Selbstpositionierung „rechts außen“ sind es sogar 61%. Die Autor*innen der Studie werten die Gesamtheit ihrer Ergebnisse als „Hinweis auf eine besondere Bedeutung von Antifeminismus und Trans*feindlichkeit für rechtsextreme und rechtspopulistische Kampagnen [..], da deren Inhalte auch von anderen Bevölkerungsgruppen geteilt werden.“.

Auch wenn der Trans Day of Remembrance ein Moment der Stille und der Erinnerung ist – in vielen Städten finden Gedenkveranstaltungen statt – ist er auch ein Tag der gemeinsamen Verantwortung, die Stimme gegen Trans*feindlichkeit zu erheben und für eine Gesellschaft zu kämpfen, in der Gewalt, Verfolgung und soziale Ausgrenzung keinen Platz haben. Dieser Tag ist also auch ein Zeichen des Widerstands und der Hoffnung. Indem die Communities zusammenkommen, erinnern sie sich nicht nur an ihre Verstorbenen, sondern bekräftigen auch ihr Engagement, für eine Zukunft zu kämpfen, in der Vielfalt gefeiert wird und in der jedem Menschen mit Anerkennung und Respekt begegnet wird. Die erschütternden Zahlen des Trans Murder Monitorings machen deutlich, wie wichtig es ist, weiterhin für die Rechte von trans*, nicht-binären und gender-nonkonformen-Personen einzutreten und Diskriminierung zu bekämpfen – am TDOR und an jedem anderen Tag.

Weiterführende Links zum Thema:
Die Zahlen des Trans Murder Monitorings 2024 können auf der Projektseite abgerufen werden.
Die Leipziger Autoritarismus Studie 2024:
Decker, J. Kiess, A. Heller & E. Brähler (Hrsg.) Vereint im Ressentiment: Autoritäre Dynamiken und rechtsextreme Einstellungen 2024. Gießen Psychosozial.

Dieser Text ist am 19.11.2024 als Pressemitteilung des BVT* erschienen. Er kann als PDF heruntergeladen werden.

Grafik. Da steht: "Trans day of Remembrance" Illustration von zwei Nelken in den Farben der trans-Flagge. Hellblau und hellrosa.