Keine Kompromisse bei Menschenrechten! Positionierung zum Asylbeschluss der EU-Mitgliedsstaaten

Im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) hat die Bundesregierung am 08.06.2023 bei einem Treffen der EU-Innenminister*innen einer signifikanten Verschärfung der EU-Asylpolitik zugestimmt. Dieses auf EU-Ebene geplante System – auch beschönigend als „Asylkompromiss“ bezeichnet – hätte für alle Asylsuchenden, aber insbesondere für vulnerable Gruppen wie LSBTIQA*-Geflüchtete, extreme Verschlechterungen hinsichtlich ihres Schutzes und ihrer Grundrechte zur Folge.

Sollte dieser menschenunwürdige „Kompromiss“ im EU-Parlament verabschiedet werden, wären die Konsequenzen ein menschenrechtlicher Albtraum: Die Stellung und Prüfung von Asylanträgen würde außerhalb der EU-Grenzen ausgelagert. Die Unterbringung von Asylsuchenden würde in ebenso ausgelagerten Massenunterkünften erfolgen. Zugang zu humanitärer Unterstützung und juristischer Vertretung wäre schwierig oder unmöglich. Das Risiko der Rückschiebung Schutzbedürftiger in unsichere Drittstaaten wie z.B. die Türkei, die Westbalkanstaaten, Senegal oder Ghana („pushbacks“) würde deutlich erhöht. In vorgeschalteten „Zulässigkeitsverfahren“ würde die Einstufung von Herkunftsländern als „sichere Drittstaaten“ als hauptsächliches Kriterium für Anerkennung als asylsuchende Person herangezogen werden, nicht der konkrete, individuelle Flucht- bzw. Verfolgungshintergrund. Adäquater Schutz insbesondere vor geschlechtsspezifischer und queerfeindlicher Gewalt wäre nicht ansatzweise gewährleistet.

Fachverbände haben diese Einigung als unvereinbar mit Menschenwürde, dem Grundrecht auf Asyl sowie dem Anspruch einer feministischen Außenpolitik eingestuft und in deutlichen Worten kritisiert. Schutzsuchende würden „[…] zu Objekten, über die bürokratisch entschieden wird. Die gerechte Würdigung des Einzelfalls bleibt auf der Strecke“, so Pro Asyl. Der Bundesverband Netzwerke von Migrant*innenorganisationen (NeMO) konstatiert: „Dieser Asylbeschluss ist nicht nur schrecklich für die Menschen, die auf der Flucht sind, sondern auch schädlich für das Zusammenleben in Deutschland. Und es ist ein Schlag ins Gesicht für alle diejenigen, die davon überzeugt waren, dass der Artikel 1 des Grundgesetzes gilt: Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Als „skandalös“ bezeichnet der LSVD, „[d]ass die Bundesregierung ihren eigenen queerpolitischen Aufbruch ignoriert und nicht einmal den Versuch unternommen hat, für besonders schutzbedürftige Asylsuchende, wie beispielsweise queere Geflüchtete, einen Schutzmechanismus zu etablieren […].“

Trans* und nicht-binäre Asylsuchende wären vor dem Hintergrund dieses Asylbeschlusses in besonderem Maße und verstärkt Gewalt und Einschränkungen ihrer Grundrechte ausgesetzt. Queerfeindliche Verfolgung und Unterdrückung lassen sich als Fluchtgrund nicht geltend machen, wenn die Umstände der Antragstellung um Asyl ein Outing in sicherer Umgebung nicht ermöglichen. Diese sichere Umgebung ist nicht denkbar in Massenunterkünften außerhalb der EU-Grenzen, in denen generell kein Schutz vor queerfeindlicher Gewalt gegeben wäre. Darüber hinaus wäre unter diesen Umständen der Zugang zu fachkundiger Unterstützung durch Rechtsvertretung, Fachberatung und Community de facto abgeschnitten.

Der Bundesverband Trans* (BVT*) positioniert sich gegen diese menschenrechtswidrigen Verschärfungen eines ohnehin bereits über Jahrzehnte hinweg ausgehöhlten Asylsystems. Im Sinne der Grundsätze der EU fordert der BVT* eine Rückbesinnung auf „[d]ie Werte, auf die sich die Union gründet, […] die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte […]“ (Vertrag über die Europäische Union). Entsprechend fordert der BVT* die Sicherstellung des Grundrechts auf Asyl, insbesondere die Möglichkeit der Antragstellung in sicherer Umgebung innerhalb der EU, unter Gewährleistung juristischer und psychosozialer Beratung, Begleitung und Unterstützung. Dringend erforderlich ist außerdem die Anerkennung von LSBTIQA*-Geflüchteten als besonders vulnerabler und schutzbedürftiger Gruppe. Vor diesem Hintergrund ist auch die Einordnung von Nationen, in denen LSBTIQA*-Personen verfolgt und unterdrückt werden, als „sichere Herkunftsländer“ inakzeptabel.

Die Bundesregierung hat wiederholt den eigenen Anspruch deutlich gemacht, Schutz für vulnerable Gruppen wie LSBTIQA*-Geflüchtete zu gewährleisten. Dies zeigte sich zuletzt auch in der Abschaffung des Diskretionsgebotes in Bezug auf queere Geflüchtete, denen zuvor zugemutet wurde, das Verstecken ihrer Geschlechtsidentität oder sexuellen Orientierung im Herkunftsland in Kauf zu nehmen. Derartige Fortschritte werden ausgehebelt, wenn die Bundesregierung gleichzeitig auf EU-Ebene eine Vereinbarung mitträgt, die dieselben schutzbedürftigen Geflüchteten daran hindert, Deutschland überhaupt erst zu erreichen.

Quellen:

Das ausführliche Statement kann hier als PDF heruntergeladen werden.

Keine Kompromisse bei Menschenrechten! Positionierung zum Asylbeschluss der EU-Mitgliedsstaaten