Das Selbstbestimmungsgesetz ist verabschiedet!
Nach mehr als 40 Jahren wird das sogenannte Transsexuellengesetz abgeschafft.
Nach jahrelangem Ringen ist es nun so weit: Das Selbstbestimmungsgesetz wurde am heutigen Freitag im Bundestag mit Stimmen aus den Fraktionen SPD, Bündnis 90/DIE GRÜNEN und FDP sowie der Gruppe DIE LINKE verabschiedet. Ab dem 01.11.2024 soll es Personen möglich sein, ihren Geschlechtseintrag und Vornamen per Selbstauskunft gegenüber dem Standesamt zu ändern.
Dazu erklärt Kalle Hümpfner, Leitung der gesellschaftspolitischen Arbeit beim Bundesverband Trans*: “Die Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes ist eine Kernforderung unseres Verbands, für die wir uns seit der Gründung eingesetzt haben. Dass die Änderung des Geschlechtseintrags in Zukunft allein durch Selbstauskunft möglich sein soll, ist ein Meilenstein für die Anerkennung von geschlechtlicher Vielfalt als gleichwertig. Nach mehr als 40 Jahren wird das sogenannte Transsexuellengesetz endlich abgeschafft. Zum ersten Mal wurde die Gesetzgebung für die Rechte von trans* und nicht-binären Personen aktiv, ohne dass das Bundesverfassungsgericht dies zuvor angemahnt hat. Das muss positiv anerkannt werden.”
Der Abstimmung im Bundestag waren monatelange Verhandlungen vorausgegangen. Ende November 2023 formulierten die geladenen Sachverständigen bei einer Anhörung im Familienausschuss deutliche Kritik am Regierungsentwurf und forderten Nachbesserungen.
“Das Selbstbestimmungsgesetz, wie es heute verabschiedet wurde, ist das Produkt einer politischen Aushandlung. Es verwirklicht geschlechtliche Selbstbestimmung bei der Änderung des Geschlechtseintrags, bleibt in einzelnen Punkten jedoch hinter menschenrechtlichen Standards zurück. Vor allem mögliche Nachwirkungen der begleitenden gesellschaftlichen Debatte, in der wiederholt trans*feindliche Narrative befeuert wurden, stimmen uns besorgt”, so Kalle Hümpfner weiter.
Im nun verabschiedeten Gesetz wurden mehrere Kritikpunkte der Selbstvertretungsorganisationen und Zivilgesellschaft aufgegriffen: So wurde der kontroverse § 13 Abs. 5 SBGG-E, der eine automatische Datenweiterleitung an eine lange Liste von Strafverfolgungs- und Sicherheits-behörden nach Änderung des Geschlechtseintrags vorsah, ersatzlos gestrichen.
Im Kontext von Trans*elternschaft wurden Verschlechterungen für trans*feminine und trans*weibliche Personen bei der Anerkennung als Elternteil, die vorherige Entwürfe eingebracht hatten, wieder zurückgenommen.
Ausnahmen für nahe Angehörige vom sogenannten Offenbarungsverbot wurden gestrichen, wenn sie mit schädigender Absicht die vorherige Geschlechtsangabe oder Vornamen ihrer Verwandten offenlegen.
An anderen Stellen hat sich das Gesetz nicht verbessert: Im Vergleich zum bisherigen Regierungsentwurf wurde zusätzlich für minderjährige Personen die Abgabe einer Erklärung vereinbart, Beratung in Anspruch genommen zu haben. Bei der Anwendung des Gesetzes ist hier Wachsamkeit geboten: Diese Regelung darf nicht der erste Schritt hin zu einer Begutachtung durch die Hintertür für Minderjährige werden.
Dass Personenstandsänderungen kurz vor einem Spannungs- oder Verteidigungsfall nicht anerkannt werden, sind wie auch der umstrittene Hausrechtsparagraf als Regelungen weiterhin enthalten. Beide Paragrafen sind Symbol der trans*feindlichen Desinformationskampagnen, die seit der Veröffentlichung der Eckpunkte im Sommer 2022 geführt wurden. Diese haben besonders trans*feminine und trans*weibliche Personen als Gefahr dargestellt und mit diskriminierenden Vorstellungen in Verbindung gebracht.
Auch bleiben hohe Hürden für geschäftsunfähige Personen und der Ausschluss von Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft, die keine unbefristete oder verlängerbare Aufenthaltserlaubnis haben, bestehen.
Für alle volljährigen Personen wird es eine einjährige Sperrfrist für die erneute Änderung des Geschlechtseintrags und eine dreimonatige Anmeldefrist vor Abgabe der Erklärung geben. Letztere Regelung soll bereits zum 01.08.2024 in Kraft treten, sodass pünktlich zum 01.11.2024 eine Erklärung gegenüber dem Standesamt abgegeben werden kann.
“Es ist schwer in Worte zu fassen, was dieses Gesetz für Menschen bedeutet, die jahrelang auf dessen Verabschiedung gewartet haben. Endlich die Möglichkeit zu haben, den Geschlechtseintrag ohne Begutachtung zu ändern, ist eine massive Erleichterung. Das Gesetzgebungsverfahren zum Selbstbestimmungsgesetz war eine emotionale Achterbahnfahrt und Belastungsprobe – für jede Person, die auf die Neuregelung wartet, aber auch für die queeren Communities allgemein. Ohne ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis wäre es nicht möglich gewesen, gegen die Desinformation anzukommen und das Gesetz voranzubringen. Wir möchten an diesem Tag allen danken, die sich an unserer Seite unermüdlich für die Rechte von trans*, intergeschlechtlichen und nicht-binären Personen eingesetzt haben und weiter einsetzen werden”, fügt Kalle Hümpfner abschließend hinzu.
Nach der Verabschiedung heute im Bundestag wird das Gesetz dem Bundesrat zugeleitet. Beim Selbstbestimmungsgesetz handelt es sich um ein nicht-zustimmungspflichtiges Gesetz, sodass der Bundesrat nur mit absoluter Mehrheit Einspruch erheben kann. Dies gilt als sehr unwahrscheinlich.
Dieses Statement ist auch als BVT*-Pressemitteilung erschienen und kann als PDF heruntergeladen werden.
Der Gesetzestext findet sich in diesem Dokument in einer Tabelle, die den Entwurf aus dem Herbst mit dem heute beschlossenen Gesetz vergleicht.