Koalition zur Einführung des dritten Geschlechtseintrags noch uneinig
Berlin, am 29. November 2018 – Anlässlich der öffentlichen Anhörung zum Gesetzentwurf zum dritten Geschlechtseintrag im Ausschuss für Inneres und Heimat am 26. November 2018 haben wir die 42.143 Unterschriften von Unterstützer_innen unserer Petition „Gleiches Recht für jedes Geschlecht: Stoppt Seehofers Gesetzentwurf zur 3. Option“ an die Abgeordneten des Ausschusses überreicht. Bei der anschließenden Anhörung wurde deutlich, dass der Gesetzentwurf innerhalb der Regierungskoalition nach wie vor umstritten ist. – Ein Beitrag von Josch Hoenes (BVT*)
Bei unserer Unterschriftenübergabe bekannte sich Elisabeth Kaiser (SPD) klar zur rechtlichen Gleichstellung aller Geschlechter: „42.143 Unterschriften wiegen in der Tat schwer. Und jede ist mit einem persönlichen Schicksal verbunden.“ […] „Für mich und die SPD Bundestagsfraktion steht die rechtliche und gesellschaftliche Akzeptanz der geschlechtlichen Identität jedes Einzelnen im Fokus meiner Arbeit.“
Marc Henrichmann (CDU) hingegen hielt trotz nachdrücklicher Kritik an der Einführung von Zugangsbeschränkungen zur rechtlichen Anerkennung der dritten Option fest: „Die beeindruckende Zahl an Unterschrift werte ich als Beleg für die Emotionalität des Themas. Als Union nehmen wir die Sorgen der Betroffenen ernst. Gleichzeitig sehen wir die Notwendigkeit eines validen Geschlechtseintrages im Personenstandsrecht.“ Henrichmann forderte, Debatten um Varianten der Geschlechtsentwicklung und der Geschlechtsidentität nicht in einen Topf zu werfen. Damit würden wir, angesichts der vom Bundesverfassungsgericht gesetzten knappen Umsetzungsfrist, der Ernsthaftigkeit des Themas nicht gerecht.
Zugang zu dritten Geschlechtseintrag kontrovers diskutiert
Mit Ausnahme der AfD sprachen sich alle Parteien in der Anhörung für die Einführung eines dritten positiven Geschlechtseintrags „divers“ aus. Kontrovers diskutiert wurde die Frage, welcher Personenkreis dafür Zugang erhalten soll und welche Nachweise erbracht werden müssen. Der vorliegende Gesetzesentwurf sieht einen Zugang nur für Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung vor, die dies mit einem ärztlichen Attest nachweisen sollen. Diese enge Begrenzung des Personenkreises wird nicht nur von der BVT*, der Kampagne Dritte Option, Intersexuelle Menschen e.V., dem LSVD und anderen Verbänden scharf kritisiert. Auch die Rechtswissenschaftlerin Dr. Anna Katharina Mangold äußerte als Gutachterin in der Anhörung Zweifel, ob der vorliegende Gesetzentwurf als verfassungskonforme Umsetzung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts betrachtet werden kann.
Ärztliches Attest verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen
„Das Bundesverfassungsgericht hat im Oktober 2017“, so Dr. Mangold, „eine Tatsache verfassungsrechtlich anerkannt, die betroffenen und interessierten Personen längst bekannt war: Es gibt nicht nur zwei Geschlechter, sondern eine Vielfalt von Geschlechtern. Geschlecht ist nicht nur biologisch, sondern auch psycho-sozial determiniert.“ Dieser Tatsache müsse rechtlich Rechnung getragen werden. Da „die gesetzlich auferlegte Pflicht ein Geschlecht eintragen zu lassen, […] ein Grundrechtseingriff ist, der gerechtfertigt werden muss“, und das Bundesverfassungsgericht dem Grundrecht auf selbstbestimmte geschlechtliche Identität besondere Relevanz zugesprochen hat, sei die Forderung eines ärztlichen Attests in der gegenwärtigen Gestalt verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Es sei weder klar, was dieses ärztliche Attest eigentlich genau bescheinigen soll, noch welcher verfassungskonforme Zweck damit verfolgt würde.
Wie problematisch der Nachweis der Geschlechtsidentität durch ein ärztliches Attest ist, belegten die Stellungnahmen der Mediziner_innen Prof. Dr. Susanne Krege und Prof. Dr. Annette Richter-Unruh. Aus ihrer Sicht sei es zwar möglich, bei Neugeborenen oder Kindern in der Pubertät das Vorliegen einer Variante der Geschlechtsentwicklung zu attestieren, welche Geschlechtsidentitäten diese Menschen im Laufe ihres Lebens ausbilden, dazu könnten die Mediziner_innen keine Aussagen treffen.
Gleichheitswidrigkeit zum Transsexuellengesetz (TSG)
Es stellt sich die Frage, warum nicht eine einfache Selbsterklärung für einen Geschlechtseintrag ausreicht, wie von den meisten Gutachter_innen befürwortet. Unseres Erachtens nach ist dies offensichtlich: Es würde eine Gleichheitswidrigkeit zum Transsexuellengesetz (TSG) entstehen. Dieses verlangt immer noch zwei psychiatrische Gutachten und ein gerichtliches Verfahren für die Änderung des Geschlechtseintrags und des Vornamens.
Wir finden: Statt sich eine verfassungsrechtlich zweifelhafte Scheinsicherheit eines ärztlichen Attests aufzubauen, ist es an der Zeit anzuerkennen, dass sich die Geschlechtsidentität eines Menschen nur über eine Selbsterklärung feststellen lässt. Alles andere bedeutet, dass sich weitere Menschen durch die Instanzen nach Karlsruhe klagen müssen. Noch aber bleibt Zeit und es ist zu hoffen, dass es den Regierungsparteien doch noch gelingt, die notwendigen Änderungen am vorliegenden Gesetzentwurf vorzunehmen und den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts verfassungs- und menschenrechtskonform umzusetzen.