Nachlese zu einer Veranstaltung des Magnus-Hirschfeld-Centrums Hamburg und des Bundesverbandes Trans* am 29.07.2019 in Hamburg
Cathrin Ramelow und Tsepo A. Bollwinkel haben ihre Verfahren nach dem Transsexuellengesetz Mitte der 90er bzw. Anfang der 00er Jahre durchlaufen. Für beide gab es keine Alternativen zur Sterilisation bzw. Kastration. Eindringlich schildern sie ihre damals von Suizidalität geprägte Lebenssituation. Einziger Ausweg sei die Personenstandsänderung gewesen. Cathrin beschreibt das TSG-Verfahren als „zynisches Gesamtpaket“, das den Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit beinhaltet. Über Möglichkeiten, Sperma oder Eizellen einfrieren zu lassen, gab es keine Aufklärung. „Wenn Sie Kinder wollen, dann sind Sie nicht trans*!“ war die Auffassung von Gutachter_innen und Richter_innen. Cathrin und Tsepo mussten einen Kinderwunsch verleugnen, um ihren Geschlechtseintrag ändern zu lassen.
Tsepo macht in einem kapitalismuskritischen und kulturhistorischen Exkurs zu Zwangssterilisationen Kontinuitäten deutlich – über Jahrzehnte bis heute und über Kontinente hinweg. Das Fazit: Ethnische Herkunft, sozioökonomischer Status und Gesundheitszustand sind die Kriterien, die bei Zwangssterilisationen angelegt werden. Konkret: Peolple of Colour, arme und behinderte Menschen sind besonders gefährdet. Noch heute laufen in Dritte-Welt- und Schwellenländern staatlich und privat finanzierte Sterilisationsprogramme. In Deutschland werden jedes Jahr mehr als einhundert behinderte Menschen zwangssterilisiert. In beiden Fällen ist die Fortpflanzungsfähigkeit unerwünscht, sei es aus wirtschaftlichen oder weltanschaulichen Gründen.
Prof. Eike Richter, Verwaltungsrechtler und mit rechtlichen Belangen von LSBTIQ vertraut, macht auf die juristisch extrem hohen Hürden für erfolgreiche Entschädigungsklagen aufmerksam. Gerichten müssten konkrete Verstöße gegen das damals geltende Gesetz (TSG § 8 Abs. 3 u. 4) nachgewiesen werden. Abgeordneten müsste nachgewiesen werden, dass sie bei der Verabschiedung des TSG bewusst wider besseren Wissens abgestimmt haben. Beides wird sich mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit nicht belegen lassen. Eine Regierung müsste von sich aus zu der Einsicht kommen, dass der Sterilisationsparagraf Unrecht war und ein Entschädigungsgesetz auflegen. Entschädigungsklagen (auch wenn sie erfolglos bleiben) könnten möglicherweise helfen, den politischen Meinungsbildungsprozess zu beeinflussen.
Genau das ist in Schweden gelungen. Nachdem 2013 der Sterilisationszwang im Transsexuellenrecht abgeschafft wurde, machten sich Aktivist*innen für Entschädigungen stark. Ulrika Westerlund war zu dieser Zeit Vorsitzende des RFSL, des LSBTIQ-Verbandes in dem skandinavischen Land. Ulrika erzählt, wie es ihnen gelungen ist, innerhalb von fünf Jahren ein Entschädigungsgesetz zu erkämpfen. Es gab Aufrufe über Social Media und Videos auf Youtube. Mehr als einhundert Betroffenen haben sich gemeldet. Der RFSL hat Einzelklagen vorbereitet. Nachdem das Thema auch zu Diskussionen zwischen den politischen Parteien geführt hat, die Leitmedien darüber berichtet haben und der Druck durch die drohenden Klagen gestiegen war, wurde das Entschädigungsgesetz erlassen.
Tessa Ganserer, queerpolitische Sprecherin der Grünen im Bayerischen Landtag, macht an ihrer Biografie deutlich, wie sehr die Fortpflanzungsfähigkeit von trans* Menschen von zufälligen Umständen, wie dem Zeitpunkt des Coming-Outs abhängig – und damit willkürlich – ist. Tessa weist darauf hin, dass das TSG auch ohne den Sterilisationsparagrafen Menschenrechte verletzt. Und sie weist darauf hin, dass auch Operationen an inter* Menschen ohne Einwilligung einer Zwangssterilisation gleichkommen. Das Magnus-Hirschfeld-Centrum Hamburg und der Bundesverband Trans* danken allen Teilnehmer*innen für ihre kompakten und gewichtigen Beiträge, dem Publikum für die interessierte Aufmerksamkeit und der schwedischen Botschaft für die Unterstützung.