Tod und Trauer

Im zweiten Jahr in Folge steht der September unter dem Zeichen von Tod und Trauer.

Heute, am 14.9.2022, jährt sich zum ersten Mal der Suizid von Ella Nik Bayan. Ella ist eine trans* Frau of Colour und hatte sich auf dem Alexanderplatz in Berlin selbst entzündet. Sie starb noch am selben Tag an den Folgen ihrer Verletzungen. Am 02.09.2022 starb der trans* Mann Malte C., nachdem er mehrere Tage zuvor am Rande des Münsteraner CSDs niedergeschlagen wurde.

Beide Tode machen sprachlos, versetzen in Schrecken und lösen noch immer tiefe Trauer aus.
Der BVT* ist in Gedanken bei den Verstorbenen und all jenen, die durch Transfeindlichkeit ihnen nahestehende Menschen verloren haben.

Beide Tode lösen nicht nur Trauer, sondern ebenso Wut aus. In den vergangenen Monaten nahmen trans*feindliche Angriffe auf offener Straße zu, auch am Rande von CSDs und anderen Pride-Veranstaltungen. Gleichzeitig nimmt Medienberichterstattung zu, die sogenannte „genderkritische“ Haltungen gegenüber trans* und nicht-binären Personen verbreitet. In ihr wird darüber diskutiert, ob trans* und nicht-binäre Personen rechtliche Anerkennung, Gleichstellung und den Abbau von Diskriminierung verdient haben, nicht wie diese erreicht werden können. Falschinformationen werden von rechten Akteur*innen genutzt, um benachteiligte Personengruppen gegeneinander auszuspielen und langfristig die Freiheitsrechte von allen Menschen einzuschränken.

Wie sehr eine sachliche Auseinandersetzung mit Trans*themen nötig ist und dass Selbstvertretungsorganisationen gehört werden müssen, zeigen viele der Medienberichte rund um Malte C.s und Ella Nik Bayans Tod.

Malte C. war beim Münsteraner CSD zwei Frauen zu Hilfe gekommen, die lesbenfeindlich beschimpft worden waren. Obwohl kein Zusammenhang nachgewiesen wurde, fokussierten sich viele Medien auf bestimmte Merkmale des jungen Mannes, der Malte C. niederschlug. Es wurde versucht, die Motive der Tat auf seine Religion und Herkunft zu reduzieren. Auf diese Weise wird das queerfeindliche Verhalten des Täters und die Folgen – der Tod von Malte C. – instrumentalisiert, um gegen muslimische und geflüchtete Menschen Stimmung zu machen. Dabei entsteht das Bild, dass queerfeindliche Gewalt nichts mit der deutschen Gesellschaft zu tun hat.

Robin Ivy Osterkamp aus dem Vorstand des BVT* sagt hierzu: „Queerfeindliche Gewalt ist – entgegen vielen Berichten –Gewalt, die besonders Schwarze, migrantisierte, muslimische und/oder geflüchtete Menschen verstärkt betrifft. Queerfeindliche Gewalt ist ein deutsches Problem.“

Besonders vor den Hintergründen von Ella Nik Bayans Suizid müssen Berichterstattungen mehr auf die strukturellen Gründe und die Lebensrealitäten der betroffenen Personen eingehen, wenn sie von Queerfeindlichkeit berichten. Ella ist im Iran aufgewachsen und hatte selbst in Deutschland Schutz gesucht. Letztlich war sie in Deutschland Trans*feindlichkeit, Frauenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus ausgesetzt. Ihr persönliches Umfeld ordnet ihren Suizid eindeutig als politisch ein und sieht die Ursachen in diesen erlebten strukturellen Diskriminierungen, die Ella in Deutschland begegneten. Hierzu gehörte auch die menschenunwürdige Verbreitung von Fotos ihres Körpers nach der Einlieferung in das zuletzt behandelnde Krankenhaus und wiederholte Schändungen ihres Grabs.

Statistiken wie das Trans Murder Monitoring zeichnen ein eindeutiges Bild: Besonders viele trans* Frauen oder trans*feminine Personen, die Schwarz, indigen oder of Colour sind, kommen durch trans*feindliche Gewalt und auch durch strukturelle Diskriminierung zu Tode. Wird dieser Umstand nicht mitbedacht oder im konkreten Fall nicht mitbenannt, kreiert das den falschen Eindruck, dass Queerfeindlichkeit nicht auch in der weißen, deutschen Gesellschaft fest verankert ist und queerfeindliche Gewaltverbrechen kein generelles Problem sind. Dies führt letztendlich zu mehr Diskriminierung und Gewalt gegen bereits von rassistischer Gewalt betroffene trans* Personen und trans* Personen mit Fluchthintergrund.

Cuso Ehrich aus dem Vorstand des BVT* sagt dazu: „Wenn wir Queerfeindlichkeit und Gewalt abbauen wollen, darf es keine einfachen Antworten auf komplexe Fragen geben. Wir brauchen differenzierte Diskussionen um Queerfeindlichkeit und Gewalt und dürfen diese Probleme nicht rassistisch instrumentalisieren, indem wir sie nur in bestimmten gesellschaftlichen Gruppen verorten. Wir brauchen Lösungen auf gesellschaftlicher, institutioneller und politischer Ebene – und vor allem ein Ende der Gewalt.“

In den vergangenen Tagen lief das Verbändebeteiligungsverfahren für den Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. Dieser muss eingeführt und in konkrete, evaluierungsfähige Maßnahmen gegen queerfeindliche und rassistische Gewalt übersetzt werden. Mehr dazu lesen Sie in unserer Stellungnahme zum Nationalen Aktionsplan.

Links:

Freund*innen von Ella haben eine Internetseite zu ihrem Gedenken eingerichtet. Hier klicken.

Das komplette Statement kann als PDF heruntergeladen werden.

Ein Foto einer Wand aus Beton. Auf die graue Wand wurde in rosarotes Herz gemalt. Der Beton hat viele Risse, das Herz ist gebrochen. Unter dem Bild steht "Zum ersten Todestag von Ella Nik Bayan"