Heute ist IDAHOBITA, der internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter*-, Trans*- und Asexuellenfeindlichkeit.
Im Vorfeld dieses Tages veröffentlichen die queeren Dachverbände ILGA Europe und TGEU jährlich interaktive Karten, welche die Menschenrechtslage in 49 europäischen und fünf zentralasiatischen Staaten abbilden. Dabei wird verglichen, wie sehr die Staaten Menschenrechte von LSBTIQA* Personen achten und sich für den Abbau von Diskriminierung und Benachteiligung einsetzen.
Das Fazit ist: Es besteht Grund zur Hoffnung. Die Menschenrechtslage von LSBTIQA* Personen macht in einzelnen europäischen Ländern leichte Fortschritte. Dänemark glänzt mit starken Verbesserungen im Diskriminierungs- und Gewaltschutz. Deutschland liegt beim Schutz von LSBTIQ*-Rechten weiterhin nur im unteren Mittelfeld.
Deutschland steht in den Rankings nahezu unverändert am selben Punkt wie im Jahr 2021. Auf der Rainbow-Map von ILGA-Europe landet Deutschland mit einem Index von 53% auf dem 15. Platz im unteren Mittelfeld. Im Vergleich zum Vorjahr gewinnt Deutschland einen Prozentpunkt. Dieser geht auf die Einführung des OP-Verbots an inter*geschlechtlichen Kindern zurück. Das OP-Verbot wurde von der großen Koalition verabschiedet, ist allerdings aufgrund von Schutzlücken und mangelnden Überwachungsmaßnahmen von LSBTIQA* Verbänden und insbesondere von inter* Verbänden als unzureichend kritisiert worden. Auch ILGA greift diese Kritik auf: Bemängelt wird, dass europaweit noch kein Land Überwachungsmaßnahmen eingeführt hat, die einen umfassenden Schutz der körperlichen Unversehrtheit von inter* Kindern ermöglichen würden.
Immer mehr Länder führen Selbstbestimmungsgesetze ein: In Europa ist die Liste nun auf neun Länder angewachsen. Diese sind Belgien, Dänemark, Island, Irland, Luxemburg, Malta, Norwegen, Portugal und die Schweiz.
Seit der Einführung des OP-Verbots und der Veröffentlichung der Rainbow-Map 2021 hat sich die politische Lage in Deutschland stark verändert: Im Koalitionsvertrag der amtierenden Regierung werden ambitionierte Ziele für den queerpolitischen Bereich formuliert.
Dazu bemerkt Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans*: „Im Jahr 2022 blicken wir mit großem Optimismus auf die kommenden Monate. Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag vorgenommen, entschlossene und große Schritte zu gehen, um Grundrechtsverletzungen gegenüber LSBTIQA* Personen zu beenden. Ein Selbstbestimmungsgesetz soll eingeführt und das OP-Verbot soll gestärkt werden. Für das Abstammungsrecht steht in Aussicht, dass Regenbogenfamilien leichter rechtlich anerkannt werden. Diskriminierung und Benachteiligung von LSBTIQA* sollen insgesamt als Querschnittsthema in allen gesellschaftlichen Bereichen angegangen und durch die Einführung eines nationalen Aktionsplans abgebaut werden. Diese Vorhaben müssen nun zügig umgesetzt werden. Dabei geht es darum, LSBTIQA* Personen in Deutschland ein Leben ohne Benachteiligung und Gewalt zu ermöglichen. Es bedeutet gleichzeitig, auch international ein Zeichen für Respekt, Akzeptanz und Teilhabe zu setzen und LSBTIQA*-feindlichen Entwicklungen entgegenzuwirken.“
Dass es hier dringend ein Zeichen braucht, macht die TGEU in ihrer Auswertung deutlich: Einige Länder sind im Ranking nach unten gerutscht. Besonders im Fokus steht hier das Vereinigte Königreich, das von Platz 10 auf Platz 14 abgestürzt ist, weil bestehende Aktionspläne für Diskriminierungsschutz ausgelaufen sind und nicht verlängert wurden. Daneben wird sichtbar, dass sich ein negativer Trend nicht schnell umkehrt. Länder, die vergangenes Jahr für ihren teilweise aggressiven Abbau von Menschenrechten von trans* und nicht-binären Personen gerügt wurden, haben die Lage nicht wieder verbessert. Dies betrifft vor allem Ungarn und Polen.
Und auch die Entwicklungen in den USA sind mit großer Besorgnis zu betrachten: Immer mehr Bundesstaaten diskutieren oder erlassen Gesetze, die sich negativ auf die Menschenrechtslage von trans* und nicht-binären Personen auswirken.
Die Karten von ILGA Europe und TGEU berichten auch von positiven Entwicklungen:
Platz eins der beiden Rankings geht das siebte Jahr in Folge an Malta (94%). Dänemark hat im Vergleich zu 2021 sieben Plätze gut gemacht und befindet sich nun auf Rang zwei mit 74%.
Dänemark konnte sich durch die Schließung von Antidiskriminierungslücken in der aktuellen Gesetzgebung im ILGA-Ranking um sieben Plätze verbessern. Dazu gehören das Gleichbehandlungsgesetz sowie das Strafgesetzbuch, das nun die sexuelle Orientierung, die Geschlechtsidentität, den Geschlechtsausdruck und die Geschlechtsmerkmale als erschwerende Faktoren bei Hassverbrechen berücksichtigt.
Island erhielt unter anderem Punkte für die gesetzliche Anerkennung von trans* Eltern und Frankreich führte ein Verbot für sogenannte „Konversionstherapie“ auf der Grundlage der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität ein.
Nach jahrelangem Stillstand verzeichnet besonders ILGA Europe eine positive Entwicklung in Griechenland, Lettland, Litauen, Serbien, der Slowakei und Slowenien. ILGA betont: Dies wirke dem Narrativ entgegen, dass es bei Rechten für LSBTIQA+ Personen in Europa ein Ost-West-Gefälle gäbe.
Mit Blick auf die Erkenntnisse der interaktiven Karten zeigt sich: Wir stehen in Deutschland an einem historischen Punkt. Deutschland hat die Gelegenheit, eine der vorderen Platzierungen der Rankings einzunehmen – und damit nicht nur dem guten Beispiel von Ländern wie Dänemark und Malta zu folgen, sondern auch ein Zeichen gegen die Entwicklungen zu setzen, die im Vereinigten Königreich und den USA beobachtet werden können.
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